Das erste Bett mit Küchenzeile
Wenn ich nicht einschlafen kann, stelle ich mir vor, in einem Bett meiner Vergangenheit zu liegen. Dann kommen sofort alle Erinnerungen an damals hoch: Was konnte ich sehen, wie fühlte es sich an, wie fühlte ich mich?
Nach meinem Grundstudium in Tübingen und dem etwas unglücklichen Intermezzo in Groningen kam ich mit einem großen Koffer in Schweden an. Endlich wieder ein richtiges Auslandsjahr!
Wohnung statt Zimmer
Ich hatte ein Zimmer in einem Wohnheim erwartet. Stattdessen bekam ich: meine erste eigene Wohnung. Die Hochschule in der Nähe von Stockholm war noch ganz neu und lag direkt neben dem größten Krankenhaus des Landes. In den nahe gelegenen lila-orangen Hochhäusern gab es diverse Ein-Zimmer-Wohnungen, die ursprünglich für die Belegschaft des Krankenhauses gebaut worden waren. Nun standen einigen von ihnen den paar Erasmus-Student*innen zur Verfügung, die die Hochschule in diesem Semester zum ersten Mal aufnahm.
Ich war überwältigt. Eine Küchenzeile, ein Tisch mit zwei Stühlen, ein Bett mit Bettwäsche und Überdecke, ein Schreibtisch, ein Regal, sogar ein Flickenteppich und zwei Platzsets sowie Töpfe, Geschirr und Besteck für zwei Personen. Alles brandneu von IKEA. Außerdem ein komplett mit Linoleum (oder was auch immer, irgend so ein Plastikkram) ausgekleidetes Bad ohne extra Duschkabine. Duschte man, wurde eben alles nass. Aber was macht das schon?
Meine Wohnung war im achten Stock. Mein Bett stand in einer Nische, die durch das Treppenhaus zustande kam. Die Fenster konnte man öffnen, es gab aber für beide nur einen Griff, den man hin und her steckte. Halte ich bis heute für eine völlig unterschätzte Sparmaßnahme.
Das Bett
Eine gestreifte Rollmatratze, ein Rollrost, ein Kissen, eine Decke, ein Bettwäscheset. Dunkelblau mit Blumen. Die günstige Variante der Bettwäsche, die ich heute auf meinem Bett habe.
An den Wänden befestigte ich Landkarten, weil ich keine Poster mitgebracht hatte. Überm Bett hing meine Hamburgflagge. Vom Bett aus sah ich meinen Schreibtisch, der gleichzeitig als mein Nachttisch fungierte. Daran klebte der Spruch „Inget är som man tror, inget är som det säger sig vara“ (Nicht ist, wie man denkt, nichts, wie es zu sein scheint), ein Zitat aus einem meiner damaligen Lieblingsbücher (note to self: dringend mal wieder lesen!) De ensamma pojkarna von Mats Olsson. Außerdem noch eine Postkarte mit einem weiteren schlauen Spruch, auf den ich jetzt nicht komme. Die Postkarte scheint verschollen zu sein.
In diesem Bett lag ich mit meiner Gürtelrose (als noch kein Ausschlag in Sicht war und somit die Ursache der echt ätzenden Schmerzen vollkommen unklar). Auf diesem Bett saß ich mangels Sofa mit den zahlreichen Menschen, die mich in Schweden besuchten. In diesem Bett lag ich, als sich mitten in der Nacht Schreie durchs Treppenhaus nach unten bewegten. Weibliche Schreie, gefolgt von männlichen.
Was tun? Die Tür des Treppenhauses mündete nach draußen, ich würde die beiden also acht Stockwerke weiter unten aus dem Haus laufen sehen und mir eine Meinung bilden können, was zu tun sei. Ich trat an mein Fenster und sah nach unten. Feuerwehr. Leute. Absperrungen. Mehr Feuerwehr. Richtig, richtig viel Feuerwehr.
Daher also die Schreie. War gar nichts Persönliches. Ich dachte mir, dass ich wohl auch besser das Haus verlassen sollte. Auch ich nahm die enge Wendeltreppe. Im vierten Stock kam mir ein Feuerwehrmann mit seinem langen Schlauch (Entschuldigung) entgegen. Er teilte mir mit, dass ich hier nun nicht weitergehen könne und die Treppe am anderen Ende des Flurs nehmen solle. Ich durchquerte den ziemlich verrauchten Flur im vierten Stock und spazierte die andere Treppe hinab. Später erfuhr ich, dass genau in dem Stockwerk das Feuer gewesen war. Interessant. Dass nie irgendein Feueralarm losgegangen war, versteht sich da fast von selbst.
Erwachsen werden
Ich habe sehr gern in dem Bett gelegen, auch wenn die Matratze selbst für mich ziemlich dünn war. Ich liebe die typischen schwedischen Wohnungstüren mit der eingebauten Klingel und die Küchenschränke mit dem Plastiknupsi, die sich nur mit Widerstand schließen lassen.
Ich habe mich wohlgefühlt, auch wenn ich kaum wirklich persönlichen Kontakt mit meinen schwedischen Kommilitoninnen bekam. Die Hochschule sorgte sich sehr um das Wohl der internationalen Studierenden. Wir wurden mit Opern- und Museumsfreikarten überschüttet und ins Stadshus zum Essen eingeladen. Ich genoss die Zeit. Weil es ohnehin nichts gab, was mir anerkannt worden wäre, studierte ich Unterwasserarchäologie, Französisch, Ideengeschichte und noch einiges mehr. Wir hatten Tag und Nacht Zugang zum Computerraum und ich konnte mich zum ersten Mal völlig ungehemmt im Internet verlieren. Ich war viel allein in Stockholm unterwegs und fand das toll. Ich glaube, ich fühlte mich erwachsen.