Nostalgiebetten – Bett 2
Ist noch Restbuch da?
Als mein Bruder schon eine Weile in der Schule war, wurden wir räumlich getrennt. Ich zog in die Küche – die den Raum allerdings vorher verlassen hatte. Sie stand jetzt da, wo sich vorher das Ehebett der Eltern befunden hatte, das wiederum ins alte Kinderzimmer gezogen war. Unser Etagenbett zog als Hochbett mit mir um. Mein Bruder zog in die Praxis meiner Mutter. Die Praxis wurde in die riesige Halle verlegt. Das Wohnzimmer behielt seinen alten Platz.
Am Kopfende meines Bettes hatte ich nun ein ehemaliges Klofenster, durch das es zog. Vielleicht rührt daher meine Zuneigung zu quadratischen Fenstern, durch die es zieht. Zum Verdunkeln hatte ich ein Stück dunkelblauen Cord, denn ich an drei Schrauben aufhängte. Die mittlere Schraube war ein bisschen niedriger als die anderen. Links neben dem Bett hing ein Engel, den meine Großeltern mir aus Italien mitgebracht hatten.
Die Wand neben dem Bett war mit Holz verkleidet, denn wir befanden und in den 80ern und das war noch immer in oder meine Eltern nicht darüber informiert, dass es nicht mehr in war. So genau weiß ich das nicht. Ich habe immer gern die Maserung angeguckt. Heutzutage muss ja immer auf den Boden starren, wenn es einen nach Maserung gelüstet. Und dann heißt es, die Smartphones würden zu schlechter Haltung führen. Dabei ist es nur die Abwesenheit von Maserung auf Augenhöhe.
In diesem Bett habe ich angefangen, Bücher zu lesen. Ich lese nämlich am liebsten im Bett. Auf dem Bauch liegend. Dass ich gelesen habe, lag daran, dass ich es nun endlich konnte, weniger am Bett. Wobei man sich jetzt natürlich fragen könnte, ob sich mein Leseverhalten in einem anderen Bett anders entwickelt hätte. Tagsüber las ich nämlich auch damals kaum, das Bett war schließlich „oben“, da geht man ja nicht mal eben so hin. Dann lieber auf dem Boden sitzen und malen. Heutzutage arbeite ich am Schreibtisch, weil der Computer da ist, das widerstrebt mir auffallend. Meine Hausaufgaben habe ich Zeit meines Lebens auf dem Fußboden gemacht, wenn es denn lohnenswert schien, das Heft aufzuschlagen. Ihr werdet mir sicher zustimmen, dass das viel besser geht.
Das Bett war Zentrum meines ersten eigenen Reichs. Ich durfte den Teppich aussuchen (9 DM/qm) und die blaue Farbe für die Wände. Die Deckenhöhe betrug etwa vier Meter, ich hatte ein großes Fenster zur Straße, das, anders als die anderen Fenster, denn es war ja schließlich eigentlich das Ex-Küchenfenster, keinen Rollladen hatte. Ich bekam ein dunkelgrünes Stoffrollo. Damals schlief ich in absoluter Dunkelheit und hätte sicher behauptet, nicht anders schlafen zu können.
Kinderzimmer oder Küche
Das Gefühl zu diesem Bett ist stark ambivalent. Denn, man mag es kaum glauben, ich mag keine Veränderungen. Wenn sich etwas verändert, überfällt mich sofort die Sorge, dass ich vergessen könnte, wie es vorher war. Ich habe das Gefühl, meine eigene Vergangenheit zu verraten – und sei es nur, dass das Zimmer umgestellt wird. Was, wenn ich vergesse, wie es vorher war?
Ja, was eigentlich?
Man könnte das auch deutlich entspannter angehen. Inzwischen weiß ich, dass ich mir so gut wie alles merke, jedenfalls fühlt es sich so an. Ich weiß aber, dass ich auch Dinge vergessen habe. Dazu kommen wir bei Bett 17.
Ich mutmaße, dass ich mir schon damals vorstellte, wie es in meinem alten Bett war.
Wenn ich heute vor dem Haus stehe und das Fenster sehe, sage ich weise zu meinen Kindern: „Das da war mal mein Kinderzimmer“ und stelle mir gleichzeitig die alte Küche vor.
Mit diesem Bett kam also die größere Verantwortung. Es gehörte nie zu meinen Eigenschaften, Probleme mit ins Bett zu nehmen. Das mache ich auch heute noch nicht. Wenn ich ins Bett gehe, wartet mein Buch auf mich und ich mache es mir unter der Decke gemütlich.
Mein größtes Prä-Bett-Problem war ergo damals wie heute: Was lese ich? Ist noch Restbuch da? Ich langte nach dem Buch auf der Fensterbank und alle akuten Probleme waren gelöst. Über den Rest kann man schlafen.
Heute löse ich das Rest-Buch-Problem gelegentlich etwas uncharmant durch den Griff zum iPad. Dann lese ich Geschichten wie die Ihre, was auch sehr schön ist. Aber auf Dauer keine Lösung. Kennen Sie auch das Problem wenn ein richtig tolles Buch nur noch, sagen wir, 70 Seiten hat? Und man bereits beginnt, sich Sorgen um die Zeit danach zu machen. Nach einem richtig guten Stück Literatur will ich oft ein bisschen Zwischenzeit bevor ich mich auf eine ganze neue Welt einlasse.
Das kenne ich durchaus. Die Sorge um das nächste Buch! Meistens steht aber glücklicherweise nur zur Debatte, welches Buch vom Stapel folgen soll.
Dass ich nach einem Buch sinnierend verweile, kommt selten vor. Dann muss es mich extrem gepackt haben. Oft stehe ich nach dem Ende eh auf bzw. lösche das Licht und schlafe, somit ist eine Zwangspause in der Regel gegeben.
Im Übrigen freue ich mich, dass Sie Ihre Buchleerlaufzeit hier überbrücken. Herzlich willkommen!