Heimat – ein großes Wort (Blogparade)

Mein momentanes Zuhause liegt hier – aber ist es auch meine Heimat? Ich bin der wunderbaren Blogparadenfrage von Katja Wenk nachgegangen und habe mir darüber Gedanken gemacht, was Heimat für mich bedeutet.
Wie ich hier bereits erzählt habe, bin ich häufig umgezogen seit ich 17 war, habe längere Zeit im Ausland gelebt und verbrachte nur in zwei Fällen ganze vier Jahre an einem Ort. Mein erster Gedanke war: Heimat ist da, wo meine Familie ist. Klar, mit meinem Mann und meinen Kindern kann ich überall glücklich sein. Aber ob das dann Heimat ist?

Und was war denn, bevor sie mein Leben auf den Kopf stellten?

Vertrautes ist Heimat. Als ich neulich bei meinem Bruder war, habe ich viele Kleinigkeiten von früher zwischen seinen Sachen entdeckt und mich gefreut – und wohlgefühlt. Ein heimisches Gefühl aufgrund gemeinsamer Erinnerungen.

Aufgewachsen bin ich in einer kleinen Gemeinde bei Hamburg.  Als ich 10 war, zogen wir von dort 400 m weiter in eine Kleinstadt und unser eigenes Haus. Ich hatte keineswegs etwas dagegen, es änderte sich ja kaum etwas. Aber ich hatte die Idylle verlassen. Dieser kleine Ort ist für mich mit so vielen Erinnerungen verknüpft, dass mir ganz schwindelig wird, wenn ich daran denke. Noch schwindeliger wird mir, wenn ich heutzutage dorthin fahre, was ich ab und zu tue, weil eins meiner Patenkinder dort lebt. Früher fand man in bestimmten Straßen wunderschöne alte Villen, in anderen weniger wunderschöne Mehrfamilienhäuser und in ein paar Ecken Siedlungen mit Einfamilienhäusern. Eine bunte Mischung eben. Wenn ich jetzt durch die Straßen flaniere, sind auf den alten Äckern Siedlungen entstanden. Aber nicht die Art von Siedlungen, die man sich gemeinhin vorstellt, sondern Villensiedlungen. Echt schräg. Dementsprechend vervilldert kommen mir die Bewohner des Örtchens vor. So eine ganz eigene Porsche-Cayenne-Welt. Merkwürdig. Zu Hause bin ich da nicht mehr. Sicher, es gibt noch ganze Straßenzüge, die fast unverändert sind (u. a. auf meinem alten Schulweg), da zieht sich mein Herz vor Sehnsucht zusammen, so schön ist es da. Aber wohnen? Nein. Die Zeiten sind vorbei.

Heimat ist eine sehnsuchtsvolle Erinnerung.

Mit 17 zog ich hinaus in die weite Welt. England – Deutschland – Frankreich – Deutschland – Schweden – Deutschland – Frankreich – Deutschland. Ja, es lässt sich nicht leugnen, verwurzelt bin ich in Deutschland. Das wäre aber zu allgemein. Im Ausland wurde ich mir meiner Heimat bewusster. Vieles bemerkt man eben erst, wenn es plötzlich anders ist. Allein das Klopapier! In Frankreich ist es hauchdünn, duftet und leuchtet gern in Pastellfarben. In England wurde es zu einem Machtkampf zwischen uns Schülerinnen und der Putzbrigade (außer Paula*). Beim Nachfüllen der riesigen Klopapierrollen mussten Plastikstöpsel von den Rollen entfernt werden, die die innere Papprolle der Riesenrolle vorm Kollabieren bewahrten. Eines Tages war die Kanalisation unseres Hauses verstopft, was uns großen Ärger einbrachte, denn die Plastikstöpsel waren heruntergespült worden. Nicht von uns, allerdings. Ich weiß gar nicht, ob den Raumpflegerinnen jemals mitgeteilt wurde, das nicht mehr zu tun. Immerhin hatten wir ja gar keinen Zugriff auf neue Klorollen. Jedenfalls ließen sich die drei nicht beirren und warfen die Teile weiterhin ins Klo statt in den danebenstehenden Mülleimer. Ohne runterzuspülen. Das mussten wir tun, wenn wir nicht im Klo nach Plastiknupsies fischen wollten.

Die Schule wurde dichtgemacht**, das Haus, in dem sich diese Geschichte abspielte, steht nicht mehr. Ich werde nie wieder dorthin zurückkehren, ins Klo gucken und mich an diese Episode erinnern können. Doch, erinnern kann ich mich. Da ist sie wieder, die sehnsuchtsvolle Erinnerung. Hach, ich war so gern da.

Es gibt auch Orte, an denen ich weniger gern war. Ein Jahr lang hatte ich das Pech, keine wirklich richtig gute Freundin in meiner Nähe zu haben. Es gab viele Mädchen, mit denen ich mich sehr gut verstand, aber darunter ist niemand, mit dem ich jetzt noch engen Kontakt habe. Losen, ja. Die Stimmung an der Schule hat nicht positiv zu meinem Wohlbefinden beigetragen. Wirklich unglücklich war ich aber nicht, es war schon in Ordnung. Erschwerend kam hinzu, dass das Jahr zuvor (das mit den Klos) so unglaublich schön war, dass selbst „genauso schön“ schwer zu erreichen gewesen wäre.

Unfassbar glücklich war ich immer in Frankreich. Dort würde ich gern viel öfter hinfahren. Ein guter Indikator, wie schön ich es fand, ist die Sehnsucht, die ehemalige Wohnstätte zu besuchen. In Caen vor meiner alten Tür zu stehen, ist ein Gefühl zerschmelzender Schokolade (was an der Farbe der Tür liegen dürfte), in Berlin durch meinen „Hood“ zu streifen macht mich lächeln und zwangsweise hungrig – auch wenn der leckere Chinamann nicht mehr da ist. Essen, überhaupt. Ehemalige Lieblingsfressgelegenheiten aufsuchen ist großartig. Dieses „Hier habe ich damals immer …“-Gefühl. Da fühle ich mich sofort heimisch.

Heimat ist eine genussvolle Erinnerung.

Auch in München habe ich gut gegessen, ich fand es schön dort, aber Sehnsucht verspüre ich nicht. Ich habe lustige, freundliche und auch sehr tiefschürfende Erinnerungen an München, wie das eben so ist, wenn man mal irgendwo wohnt. Ich freue mich, wenn ich nach München fahre und das Gefühl habe, dass ich mich auskenne.***

Als wir noch in München wohnten, tat sich plötzlich die Möglichkeit auf, nach Hamburg zu ziehen. Nie hätte ich gedacht, dass ich eines Tages in meine Heimat zurückkehren würde. Ja, Heimat, genau das war mein Gedanke. In 17 Jahren, in denen ich natürlich immer mal wieder (auch für ein paar Monate) in Hamburg war, hatte ich mich nie nach Hamburg gesehnt. Doch plötzlich war es zum Greifen nah und ich griff zu. Zu meinem großen Glück griff mein Mann begeistert mit. Nun bin ich hier und ich kann mich zum ersten Mal damit anfreunden, nicht mehr umzuziehen. Vielleicht möchte ich irgendwann für ein paar Monate woanders sein, das glaube ich schon. Aber meine Heimat ist hier.

Das ist das perfekte gute Gefühl.

 

* Paula putzte zeitversetzt allein und war unglaublich nett.

** Aus anderen Gründen. Wobei auch diese Episode von der schlechten Einteilung der Unkosten zeugt.

*** Das Gefühl täuscht. Mein Orientierungssinn ist erbärmlich.

9 Kommentare
  1. Sabine sagte:

    Danke – das ist ein toller Text. Viel Stoff zum Nachdenken. Was Heimat für mich ist, da bin ich mir auch nicht sicher (wo sie ist, fällt mir leichter zu sagen: ebenfalls Hamburg). Und den kulinarischen Heimatgefühlen versuche ich mit meiner „Heimatküchen“-Interviewserie im Blog auf die Spur zu kommen und bin selbst gespannt, was ich noch so erfahre. Gerade Geruchs- und Geschmackserinnerungen treffen ja oft direkt ins Rückenmark.

    • Gesa sagte:

      Oh ja. Der Geruch der Pariser Metro ist wohl der, der bei mir am meisten auslöst. Dabei ist er nicht einmal besonders schön! Beim Essen habe ich es weniger, es passiert mir eher zufällig, dass mich ein Geschmack plötzlich an etwas erinnert. Aber natürlich gibt es einschlägige Lokalitäten, in die ich bei jedem Städtebesuch einfalle. Ein guter Foodprovider ist Gold wert – gottseidank bin ich mit einem verheiratet :)

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