20.06.1930: Ein kleiner Scherz aus meinem Koffer (Rudu)
Anders als im Jahr davor scheint Rudu die Geburtstagspost diesmal fast rechtzeitig verfasst zu haben.
Leipzig, den 20. Juni [1930]
Meine liebe Leni,
wie gern möchte ich Dir morgen einen wirklichen echten Buppen von der guten alten Sorte geben! Ich muß mich begnügen mit einem nur in Gedanken gegebenen, der jedoch soviel Glück und Liebes in sich schließt, wie Du nur irgend vertragen kannst. Ich wünsche Dir vor allem im neuen Lebensjahr, daß Du etwas findest, was Dich ausfüllt. Wir müssen uns darüber nochmal unterhalten. Am Mittwoch oder und Donnerstag werde ich ja kurz in N. erscheinen, ich hoffe, Dir dann noch irgend einen kleinen Scherz aus meinem Koffer überreichen zu können.
Diese Zeit ist für mich einfach widerwärtig, das Examen nimmt mich doch scheußlich mit. Wenn es glücken sollte, werde ich mit Dir zusammen in N. im Juli einen enormen Hofstaat halten, es wird eine wahre Pracht werden.
Verleb den Tag morgen recht munter, liebe Leni; es wird mit sehr viel lieben Wünchen bei Dir sein
Dein Rudu.
Offenbar langweilt sich Leni zu Hause und weiß nichts mit sich anzufangen. Ganz schön ätzend, wenn man es „nicht nötig“ hatte, zu arbeiten. Im Alter konnte sich Leni nur sehr mühsam bewegen – stillgesessen hat sie trotzdem nicht. Die Untätigkeit muss ihr sehr gegen den Strich gegangen sein.
Dass Rudu sich von seinem Examen so schlauchen lässt, ist interessant. Es wird – ja, ich bin ich einige Briefe voraus – übrigens nie wieder erwähnt. Erst 1933 (!!) muss er in Leipzig zu einem Professor* in die Sprechstunde. Aber das seht Ihr dann ja.
Ach so, ein Buppen ist ein Kuss. Muss ein familieninternes Wort sein, ich kenne es jedenfalls auch nur von meiner Großmutter. Der Buppen wird mit sich wiederholendem Kussgeräusch und dabei dauerhaft gespitzten Lippen auf der Wange platziert.