10.10.1945: Inge sorgt für mich genau so rührend wie für den Jungen (Leni)

Leni hat es geschafft, sich nach Berlin durchzuschlagen. Sie hat den kleinen Hans wiedergefunden. Nun muss sie jedoch noch einmal nach Mecklenburg, um dort Friedrich zu treffen und zu versuchen, noch ein paar Dinge vom Gut zu retten. Der Rückweg muss über Berlin gehen, da sie mit Hans einen regulären Transport nehmen will. Sie lässt ihren Sohn also noch einmal für ein paar Tage zurück – wie schwer muss ihr das gefallen sein, aber wie froh wird sie auch gewesen sein, Friedrich wiederzusehen!

[Auf Papier „République Française, Paris, le ….. 193….“]


 Berlin 10. Okt. 45

Liebe Mutter! [Friedrichs Mutter]

Frau H. fährt heute mit einem Transport nach Köln und wird dieses hoffentlich befördern können. Ich hoffe nächste Woche mit Frau S. auf reguläre Weise fortzukommen oder mit einem Transport, der aber meistens von Woche zu Woche verschoben wird. Ich kann natürlich auch auf dieselbe Weise fahren wie mein Herweg war, doch ist dieses für Hans zu strapazierend, wir wären Tage unterwegs und die Züge sind so unbeschreiblich voll, wie man es sich bei Euch nicht vorstellen kann. – Inge P. hat unbeschreiblich rührend für Hans gesorgt. Er war so herunter, daß er von allen aufgegeben wurde und ich möchte nun nicht, da sie ihn jetzt wieder so weit hat, [ihn] einer stark strapaziösen Fahrt aussetzen. Andererseits möchte und muß ich schnell zurück, da ich keine Lebensmittelkarten habe und bekomme und meine mitgenommenen Vorräte zu Ende gehen. Inge sorgt für mich genau so rührend wie für den Jungen. – Ich will heute nach Mecklenburg fahren, jedoch weiß man nie wieviele Tage solche Fahrt dauert. Im nächsten Ort beim Gut hoffe ich Friedrich zu sehen, vielleicht ist es ja möglich daß er mit mir kommt. Frau H. hat mir ausführlich vom Gut erzählt, schriftlich kann ich das nicht wiedergeben. Martha S. will auch per Auto fahren, wenn ich an der Grenze abgesetzt werde, so wird sie jedenfalls das Kind mitnehmen. Schon wegen der Kälte müssen wir uns eilen, auch daß Hans aus Berlin kommt, denn Fensterscheiben gibt es in Inges Wohnung nicht.

Ich hoffe Du hast meine verschiedenen Postkarten erhalten , sodaß du über meine Reise orientiert warst. Wie sind die Kinder, kommt Ihr zurecht? Ist Paulina noch da, mir wäre lieb wenn sie bliebe bis wir zurück sind.

Ich hoffe am 15 oder 16. dort zu sein, jedenfalls braucht Ihr Euch nicht sorgen wenn es später ist, dann ist es nur um einen bequemen Weg zu haben. Konntest Du mir Winterkartoffeln besorgen? Und ist die Sendung aus Lübeck da?

Herzliche Grüße an alle

Deine Leni


In Inges Wohnung muss es verdammt kalt gewesen sein ohne Fensterscheiben. Nach den Erzählungen war die Wohnung verwüstet und Hans spielte in den Trümmern. Leider gibt es keinerlei Angaben, wie er auf das Wiedersehen mit seiner Mutter reagiert hat.

Edit: Doch gibt es – Hans saß auf dem Topf und hat seine Mutter zu deren großen Entsetzen nicht erkannt.