05.06.1935: Abends ist man stets so eigentümlich müde. (Rudu)
Ingrid zwingt Rudu zum Schreiben – immerhin schreibt er also noch vor Lenis Geburtstag am 21.6. Obs gereicht hat?
La U. 5. Juni 35.
Meine liebe Muschi!
Ingrid schiebt mir den Brief von Dir ein, so habe ich Gelegenheit, Dir auch noch einen lieben Geburtstagsgruß und Kuß in Gedenken zu geben. Schon lange wollte ich Dir antworten, aber die Zeit läßt sich so schwer finden. Abends ist man stets so eigentümlich müde.
Der erste Sommer, den ich nicht auch in N. mit Euch verlebe, dafür wandern meine Gedanken oft dahin. Mutter schrieb gestern, daß Du bei Alice bist, Maria vielleicht in eine Klinik geht und die Kinder in Blankenese sind. Was wohl vorliegt? Du wirst inzwischen gehört haben, daß die Eltern hier einen recht ungünstigen Bericht + Eindruck über Marias Tun + Treiben hatten und daß man allgemein auf Seiten Werners ist, sowie man Einblick in die Vorgänge hatte.
Ingrid hat Dir von allem so ausführlich erzählt, daß mir wenig verbleibt. Lediglich sagen kann ich noch, wie Ingrid mir hier fehlt und wie schade ich es finde, daß Colerinchen sie noch immer besucht. Es ist so wichtig, daß sie das los ist und auf der anderen Seite möchten wir so gern wieder hier zusammen sein.
Der Regen kommt schon mit großer Regelmäßigkeit jeden Tag. In B. war vor einiger Zeit Hochzeit von Herrn R., sonst geht hier wenig vor sich. Mutter und Vater von Ingrid schreiben sehr regelmäßig, dadurch hört man stets etwas aus R. Unser Haus dort soll sich so verändert haben? Was Mama wohl gesagt hat?
Und Du? Wo Du wohl den 21. begehst? Diese Zeilen schicke ich lieber ans Kontor. Es hat uns so gefreut, daß Du den seligen Bericht aus München schicktest, hoffentlich füllt der Dich solange aus, bis Friedrich soweit ist, daß Ihr an eine Heirat denken könnt. In allen Dingen, in denen Du und Friedrich Rat haben wollt, wendet Euch nur ruhig an Papa, ich habe das Gefühl, daß er stets einen Ausweg weiß.
Wie Du wohl mit Hertha Dich auseinandergesetzt hast? Du mußt mir mal schreiben, überhaupt so über das Leben und Treiben von Euch Jugend, denn Mama sieht doch mehr andere Dinge und berichtet die. Was macht Babs? Ich möchte ihr wohl mal schreiben und hoffe dazu zu kommen. Erst kommt jetzt Ulle mal, der schlecht behandelt ist. Am rührendsten hat sich mal wieder Klaus um uns bekümmert, er schickt uns lauter schöne Dinge und schreibt reizende Berichte.
Was sagst Du zu dem bevorstehenden Ereignis hier bei uns? Ingrid ist so selig und wir beraten sehr eifrig die Dispositionen, die wir dies für diese wichtige Zeit zu treffen haben.
Und Richard? Hier schwirren wilde Gerüchte durchs Land, keiner weiß richtig Bescheid.
Leb wohl, von Herzen wünsche ich Dir noch nachträglich, denn leider werden wohl diese Zeilen verspätet eintreffen, recht viel Gutes.
In inniger brüderlicher
Liebe Dein Rudu.
Auch ich wüsste jetzt ja mal gern über Richard Bescheid! Und über Marias Tun + Treiben wüsste ich ebenfalls gern mehr. Das ist der große Nachteil von Briefen innerhalb der Familie – jeder weiß im Grunde genommen, worum es geht, man muss nicht weiter darauf eingehen. Aber – Trommelwirbel – Leni hat an die Nachwelt gedacht und die Durchschläge ihrer eigenen Briefe mit abgeheftet. Der nächste ist von ihr! Ich freue mich, nächste Woche endlich eine Antwort präsentieren zu dürfen.